Mitte 2004.
Ich verbrachte meine Tage als Single. Seit Februar 2004. Warum eigentlich nicht mal wieder tanzen gehen, dachte ich bei mir. Ein bisschen Zerstreuung, ein bisschen die müden Knochen schütteln. Ich entschied mich also, mal wieder dem „Darkflower“ in Leipzig einen Besuch abzustatten. Ich war vorher schon 1-2 mal da, und es hatte mir gefallen. Endlich mal weg aus dem Kaff, auch wenn das hiess, am nächsten Morgen 5 Kilometer zu Fuss zurücklegen zu müssen, da um diese Zeit noch keine Busse fuhren.
In Leipzig angekommen ging ich noch schnell in den Bahnhof zum McDonalds. Bis 21 Uhr war noch ein wenig Zeit, also aß ich noch was. Chickenburger!
Die ersten paar Diskothekenbesuche sind schon etwas besonderes, so rückblickend betrachtet. Das erste mal über die Nacht weg sein. Mit gleichgesinnten feiern, die Musik spüren, die Gespräche abseits der Tanzfläche führen, wissen, man ist nicht alleine mit seinen Ansichten.
Nach der Stärkung bei McDonalds also auf zum Club. 21.30 bin ich rein. War natürlich noch recht leer. Hier und da saß schon jemand, die Tanzfläche war aber noch leer. Abundzu zischte die Nebelmaschine ein paar Wölkchen weisslichen Nebels in den Raum, der seine Farben im Scheinwerferlicht immerwährend änderte. Ich schaute mich um und entdeckte in einer Ecke einen Typen mit Ledermantel und Irokesen sitzen. Ich ging hin und pflanzte mich neben ihn auf die Couch. Wir stellten uns vor, Uwe war sein Name. Er kam aus Brandenburg und hatte 1,5 Stunden Zugfahrt hinter sich. Er wohnte genau zwischen Berlin und Leipzig, verbrachte die Wochenenden in Clubs manchmal in Berlin, manchmal in Leipzig. Heute war er eben in Leipzig, und so kreuzten sich unsere Wege.
Wir hielten ein wenig Smalltalk, erzählten was wir so machen, und, was uns hier her treibt.
Wir haben natürlich nach den Weibern ausschau gehalten. Ich für meinen Teil war nicht scharf darauf den Singlestatus für längere Zeit zu behalten.
Aber bis jetzt war noch keine Sau da. Also haben wir uns erstmal was zu trinken besorgt. Ein Bierchen sollte die Zeit verkürzen. Im laufe der Zeit begann sich auch langsam die Bude zu füllen. Wir hatten uns so positioniert, das wir die Treppe, die zum Eingang führte, immer im Blick hatten. Mal sehen was so dabei war. Da war ein Kerl, den nannten sie Kermit, weil er, mal abgesehen davon dass er komplett in Pink gekleidet war, eine Stoffpuppe von Kermit dem Frosch auf der Schulter trug. Und er trug gerne Röcke. Dann gab es „Lestat“, der immer Zylinder und Sonnenbrille trug. Der kam immer mit seiner gesamten Crew. Später sollte ich ihm nochmal auf dem Wave Gotik Treffen begegnen, als ich im Hinterzimmer eines Szeneladens, dessen Besitzer ich kannte, am Met trinken war. Da kam er rein mit zwei Weibern in Strapsen. Wir haben dann eine weile miteinander getrunken. Noch etwas später traf ich ihn erneut, und hörte, dass er auf Entzug war. Da trug er auch schon keine Zylinder und keine Sonnenbrillen mehr.
Jedenfalls saßen mein neuer Kumpan Uwe und ich voller Erwartung im Dunkel unserer Ecke. Da kamen sie rein. Eine etwas größerer als die andere. Eine mit längerem Haar, eine mit kürzerem. Eine mit längerem Rock, eine mit einem kürzeren. Ich haute Uwe meinen Ellenbogen in die Seite und machte ihn auf die beiden aufmerksam. Wir diskutierten kurz, ob wir es wagen sollten. Warum denn nicht? Was hatten wir zu verlieren? Ich meine, wir waren allein, die Welt stand uns offen und uns kannte niemand. Warum nicht mal was riskieren?
Wir gingen also zu den beiden rüber. Wir stellten uns vor, fragten, ob sie alleine da sind und führten ein kleines, harmloses Gespräch. Wer von uns beiden sich um welche kümmert, das war schnell klar. Uwe nahm die Bohnenstange, ich die im Samtkleid mit den kurzen Haaren. Die ein Halsband trug. Ich trug zwar selber Nietenarmbänder und Strumpfhosen am Arm, aber ein Halsband? Mit Leine? Das war selbst für mich befremdlich.
Wir hielten uns an so einem Stehtisch direkt an der Tanzfläche auf. Zum Glück hatte das Ding Hocker. Ich saß da also, in der einen Hand mein Bier in der anderen die Leine von der Halsbandlady. Ja, während sie tanzte, hielt ich sie an der Leine. Ich spürte förmlich die Blicke von den anderen Gästen. Ich meine, sowas sah man selbst in unseren Kreisen selten. Hier fiel mir auch auf, wie klein das Mädel wirklich war. Die ging mir grad bis zur Brust. Aber gut, dachte ich bei mir, es gibt schlimmeres. Und ich sollte schlimmeres erleben.
Irgendwann fingen wir das schmusen an. Uwe war anscheinend auch erfolgreich, denn er stand mir in nichts nach. Die Damen schienen auch irgendwas vorzuhaben. Irgendwann hörten wir dann das, was uns in diesem Moment wie der Jackpot vorkam:
„Wollt ihr mit zu uns?“ Ja, die beiden wohnten auch noch zusammen. Ha! Auch mal Glück für mich und meinen Uwe. Wir verliessen die Party gegen 2-3 Uhr morgens. Zu ihrer Wohnung war es nichtmal weit. Vielleicht 20 Minuten Fußweg, die uns später noch wie 20 Kilometer vorkommen sollten.
Unterwegs unterhielten wir uns weiter. Dabei erfuhr ich, das meine Auserwählte 27 Jahre alt und damit mal schön 9 Jahre älter als ich war, sie tierisch Probleme mit ihren Eltern hatte und in einer Behindertenwerkstatt arbeitete. Ich traute mich schon garnicht mehr, nachzufragen, in was für einer Funktion sie dort tätig war, und ich hätte die Zeichen deuten und reissaus nehmen sollen.
Aber da waren wir auch schon da. Die Wohnung war eigentlich ganz cool eingerichtet. Schöne hohe Räume, Altbau eben, große Sitzecke, und ein Terrarium, in der eine kleine grüne Schlange namens Skippy lebte. Zumindest taufte ich sie auf den Namen Skippy. Ich durfte sie sogar auf die Hand nehmen. Rückblickend war das für mich der Höhepunkt des Abends. Ich hatte noch niemals vorher eine Schlange berührt und dementsprechend platt war ich. So glatt.
Jedenfalls sprach mich die Werkstättlerin mittlerweile mit „schwarzer Prinz“ an und kam immer näher. Irgendwann verschwanden die beiden Damen im Bad, zum Abschminken.
Uwe und ich mutmaßten daraufhin, was jetzt käme. Wollten die uns für die Nacht einladen? Oh, welch Möglichkeiten. Doch diese Träumereien zerschlugen sich als der Leibhaftige weibliche Mr. Bean zur Türe rein kam. Ich habe niemals wieder an der Macht eines guten Makeups gezweifelt. Wo vorher noch ein recht jugendlich aussehenden Mädel war, mit einem blassen Gesicht, dunkelroten Lippen und einem schönen Kleidchen, stand da jetzt jemand, der Original so aussah wie Rowan Atkinson als Mr. Bean. Nur eben in weiblich.
Ich überspielte meinen innerlichen Schock und fragte Uwe, ob denn nun nicht bald auch unser Zug heimwärts käme. Er schaute mich entgeistert an, und sagte was von 6 Uhr. Mrs. Bean bot mir an, bei ihr zu übernachten. Ich machte Uwe mit meinen Augen klar, dass er sich irrte. Der Zug käme nicht um 6, sondern um 5! Also schon in einer dreiviertel Stunde! Und bis zum Bahnhof war es ein Stück. Er verstand zum Glück.
Wir tauschten noch Handynummern miteinander aus. Dann verließen wir die Liebeshöhle der beiden schwarzgewandeten. Draußen auf der Straße bedankte ich mich bei ihm für seine Unterstützung, und er war gar nicht sauer, denn ich hab ihm nichtmal die Tour versaut, da es mit seiner Wahl wohl auch nicht so das wahre war. Sie erschien ihm aus irgendeinem Grund ein bisschen Psycho drauf zu sein.
Wir stolperten durch die Straßen, weil wir absolut keine Orientierung hatten. Die Stadt war menschenleer, morgens um 4.30 Uhr. Straßenbahnen fuhren auch keine mehr, also gingen wir zu fuß. Wir brauchten eine ganze Weile und verliefen uns ein paar mal beinahe. Mit den Schildern an den Straßen fanden wir aber letztlich doch zum Bahnhof. Wir gingen zum McDonalds, kippten Kaffee in uns rein und ließen die Nacht nochmal an uns vorbeiziehen. Was haben wir gelacht.
Wir verabschiedeten uns voneinander, und fuhren nach Hause. Ich schleppte mich die 5 Kilometer zu meinem Kaff und fiel ins Bett, aber nicht, ohne vorher noch eine SMS zu bekommen, in der folgendes zu lesen war
„Ich freue mich auf unser Wiedersehen, mein schwarzer Prinz“.
Dazu kam es natürlich nie.
Aber mit Uwe war ich noch einige Male unterwegs, in Clubs, auf dem Wave Gotik Treffen, oder als wir uns einfach so auf der Straße trafen. Irgendwann verloren wir uns aus den Augen. So ist es eben. Menschen kommen und gehen, doch die Dinge, die man mit ihnen teilt und erlebt, diese bleiben. Ich wette, er denkt heute auch noch ab und zu an diese verrückte Nacht vor 10 Jahren.